Wenn die
Weihnachtsglocken läuten, strömen auch die Menschen in die Kirchen, die
den Rest des Jahres keinen Fuß über die Schwelle eines Gotteshauses
setzen. Weihnachten und Kirche, das gehört eben doch zusammen. Das ist
sogar in Brandenburg so, wo nur noch höchstens 20% der Menschen
überhaupt einer Kirche angehören. Die Dorfkirchen, die übers ganze
Land verstreut stehen, bedeuten trotzdem oft auch denen etwas, die mit
Kirche wenig im Sinn haben - sie sind oft das einzige, was in einem so
etwas wie Heimatgefühl auslösen kann. Und das nicht nur an Heiligabend.
Sigrid Hoff hat die Gemeinde Gosen im Landkreis Oder-Spree besucht.
"Alles wird von uns mit sehr viel Liebe gemacht"
Das
letzte Konzert im Advent: das Kirchenschiff ist schon festlich
geschmückt, an den Bankreihen und auch oben auf der Orgelempore stecken
Kerzen in den dafür vorgesehenen Halterungen. Sie erleuchten die
Kirche stimmungsvoll, wenn der Con-Brio- Chor aus Fürstenwalde für 100
Konzertbesucher Weihnachtslieder singt. Der Adventskranz mit dicken
weißen Kerzen steht rechts vom Altar, auf der linken Seite ein
prächtiger Weihnachtsbaum.
Thomas Schölzchen vom Förderverein der
Gosener Dorfkirche stellt noch Mikrofone und Anlage ein: "Der
Weihnachtsbaum ist dieses Jahr aus meinem Garten, da war er zu groß
geworden mit 4,50 Höhe, der schmückt jetzt unseren Kirchenraum über
die Weihnachtszeit, strahlend schlicht und einfachgeschmückt mit
Papier- und Strohsternen, die Ulrike Steffler, auch ein Mitglied unseres
Kirchenvereins über viele Wochen und Monate gebastelt hat von Hand und
zusammen mit den Lichtern gibt es zur einfachen klaren Struktur im
Innenraum den passenden Weihnachtsschmuck." Im Vorraum bauen Ulrike
Steffler und Vera Hartmann Kuchen und Weihnachtsplätzchen auf, vor dem
Konzert lädt der Förderverein zu Kaffee und Glühwein: - "Ich bastele
viel und habe die Sterne gemacht." - "Dann backen wir Kuchen – wie ist
das, verkaufen wir die heute oder machen wir das so?"
Vera
Hartmann ist in Gosen geboren und mit der Kirche aufgewachsen: "Die
bedeutet mir etwas von Anfang an, Großeltern waren Christen, Eltern
waren Christen, bedeutet mir sehr viel, ich freue mich, dass ich in
vielen Tätigkeiten in der Kirche groß geworden bin." Noch vor Jahren war
sie beim Baumschmücken mit ihrem Mann allein, für das
Gotteshaus
der kleinen Gemeinde südöstlich von Berlin interessierte sich niemand.
Heute packen viele Hände mit an, freut sich die 75-Jährige: "Heute sind 5
Männer an der Spitze des Fördervereins, die haben tüchtig geworben,
dass die Frauen auch mitkommen, da wird zusammen geschmückt, wird mit
sehr viel Liebe von uns allen gemacht." Ulrike Steffler ist erst vor
vier Jahren von Berlin nach Gosen gezogen: "Ich bin Diakonieschwester,
habe mich, als ich herkam, in den Förderverein, finde auch schön, dass
so viele in der Kirche aktiv sind, auch wenn es viele sind, die gar
nicht der Kirche angehören, aber sie setzen sich ein. Wir Alten tun’s
auch."
Die Kirche sollte nicht in Vergessenheit geraten
Gosen,
südöstlich von Berlin gelegen, unweit vom Seddinsee, ist ein
Kolonistendorf aus der Zeit Friedrich II. In der DDR gab es hier
Kasernen der NVA, die Stasi baute eine Hochschule für die
Hauptabteilung Aufklärung. Heute steht hier ein Einkaufszentrum, das
Ortszentrum ist im Grunde nur eine Straßenkreuzung, gesäumt von Gebäuden
der Freiwilligen Feuerwehr, dem Dorfkrug, der Bushaltestelle. Und eben
der Kirche, die ein paar Schritte von der Kreuzung zurückliegt: ein
schlichter Putzbau, deren hoher Turm zwischen den Bäumen aufragt. Das
Dach ist neu gedeckt, über dem Eingangsportal steht die Jahreszahl 1913
und ein Bibelvers, Matthäus 24, Vers 35: Himmel und Erde werden
vergehen, aber meine Werke werden nicht vergehen.
Jahrzehntelang
öffnete sich die Kirchentür nur am Sonntagmorgen für eine Stunde
Gottesdienst. Und selbst das geschieht immer seltener: Die evangelische
Landeskirche streicht Pfarrstellen, deshalb wird in Gosen mittlerweile
nur fünf oder sechsmal im Jahr Gottesdienst gefeiert. Vera Hartmann
bedauert das: "Ganz traurig, Frau Pfarrerin hat viel zu tun, überall
ist sie eingeteilt, sie schafft das nicht." Mittlerweile ist jedoch
neues Leben eingezogen. Eine Gosener Konzertbesucherin freut sich: "Ich
muss sagen, ich bin froh, dass jetzt ein bisschen Bewegung reingekommen
ist. Es war früher sehr still, Sie wissen ja selber, wie das in den
Kirchen war, zu DDR-Zeiten, da wurde ja nicht viel unternommen, aber
jetzt ist es schön, das soviel Bewegung reingekommen ist. Da sind
supergute Leute dran, ich bin ja nun eine alte Rentnerin, aber junge
Leute, die sehr aktiv sind, und die sehr toll die Geschichte angehen und
sehen, dass es vorankommt." Ein paar Gosener haben sich zusammengetan,
weil sie nicht zulassen wollten, dass die Kirche immer mehr in
Vergessenheit gerät. "Dass das gehalten wird, nicht nur hier rumsteht,
als Zentrum entwickelt wird, für Kultur, wir haben 2002 der Gemeinde
gesponsert, hier sind Strahler, die die Kirche anstrahlen, damit es
nicht mehr so duster ist." André Organiska lebt seit dem Jahr 2000 mit
seiner Frau in Gosen. 2008 wurde ein Förderverein gegründet. Er
organisiert regelmäßig Konzerte von Rock bis Klassik, es finden
Theateraufführungen statt, Lesungen und vieles mehr. Aus dem Erlös der
Eintrittsgelder und Spenden wird das Gotteshaus, das seit seiner
Einweihung vor fast 100 Jahren innen wie außen keinen neuen Anstrich
mehr gesehen hat, Stück für Stück saniert. Im letzten Jahr konnte
eine neue Heizung eingebaut werden, jetzt ist die Kirche auch im Winter
benutzbar.
Thomas Schölzchen vom Vorstand: "Die Heizung hat 30
000 Euro gekostet, da hat die Ortsgemeinde dazu beigetragen und der
Förderverein. Abgeschlossen sind jetzt der Einbau des Gebläses für die
Orgel, dass man es nicht mehr mit der Hand betreiben muss, abgeschlossen
ist der Einbau der Heizung, der Einbau eines neuen Läutwerks für die
Kirchenglocke und jetzt geht's darum, dass ein Holzgutachten erstellt
wird, untersucht werden von der Kirchturmspitze bis zum Gestühl alle
Holzteile, vor allem in der Orgel ist der Holzwurm sehr aktiv. Viele
wissen gar nicht, dass eine Orgel auch hölzerne Pfeifen hat, und durch
den Holzwurm kaputt gehen können. Auch für die weitere Sanierung wollen
wir Planungssicherheit haben, inwieweit vor Fassadensanierung
Holzsanierung durchgeführt werden muss."
Das Wunder von Gosen
Rund
150 Mitglieder zählt die Gosener Kirchengemeinde noch. Die DDR mit dem
Stasi-Objekt am Ort hat Spuren hinterlassen, dazu beigetragen, dass die
Kirche immer weniger eine Rolle spielte. Nach 1990 zogen viele neue
Familien in das kleine Dorf in der wasser- und naturreichen
Spreelandschaft, auch unter ihnen gibt es wenige Kirchenmitglieder.
Dass
jetzt rund um die Kirche doch wieder soviel neues Leben entstanden ist,
nennt Pfarrerin Friederike Winter das Wunder von Gosen: "Gosen war so
ein bisschen das Schlusslicht. Wir haben uns sehr Gedanken gemacht, wie
das weitergehen soll, ob die Gosener Kirche das Schicksal wie in anderen
entvölkerten Gegenden auch ereilt und wir einfach zuschließen müssen
und den Generationen nach uns die Aufgabe überlassen, was mit dem
Gebäude wird. Und als wir die Überlegung laut werden ließen, dann
geschah irgendwie das Wunder, das vorher nicht möglich war, dass sich
eine ganz spontane und solide Bewegung organisierte, und jetzt seit ein
so flotter Förder- und Kirchbauverein existiert, der sich mehr als
verdient macht und in den Schatten stellt, was wir jemals zu hoffen
wagten." Taubenblaue Bänke, auch die kleine Sakristei, der
säulengeschmückte Altar, Orgelempore und Orgelprospekt sind blau
gestrichen, entlang den rosafarbenen Wänden ziehen sich Fresken – der
Originalzustand von 1914 ist erhalten, und das soll möglichst auch so
bleiben, die Kirche steht unter Denkmalschutz. Eine halbe Million Euro
wird die Sanierung kosten – viel Geld für die kleine Gemeinde. Der
Vereinsvorsitzende Christian Schnuppe sieht das gelassen: "Eine schöne
Dorfkirche eigentlich, in meinen Augen ist das nicht so wild, wenn das
lange dauert, Stück für Stück, Geld ist nicht das Entscheidende. Für
mich ist das Entscheidende, dass Leben in der Kirche ist, dass die
Kirche ein offenes Haus ist, Und das wir eine dufte Truppe sind, das
macht auch wirklich Spaß."
Christian Schnuppe stammt aus Gosen,
er fühlt sich dem schlichten Gotteshaus verbunden: "Hier drinne sind
meine Kinder getauft, hier war meine Hochzeit, ich bin zwar nicht
geboren in Gosen aber für mich ist das meine Heimat. Und für den
Förderverein, viele Gosener sind hier geboren aber waren vorher hier nie
drinne, aber zu Festen, wir haben ein großes Feuer auf dem Platz
nebenan zu Ostern, auch im Herbst, da ist die Kirche, da kommen so
viele, kriegen das erste Mal ein Bein in die Kirche." Pfarrerin
Friederike Winter begleitet, so oft sie schafft, die Veranstaltungen:
"Das ist schon eine mehrjährige Entwicklung, dass auf der einen Seite
Kirche sich öffnet, mehr als nur Gottesdienste für vorstellbar hält,
sogar auf die Menschen zugeht und sagt, habt Ihr nicht Lust, dass Leben
unter diesem Dach geschieht, das Tolle ist auch, in der Form der
Gemeinwesenarbeit, dass so vieles zusammenkommt, ein Kulturdenkmal zu
erhalten. Die Baulast eines alten und maroden Gebäudes nicht nur als
Last zu empfinden sondern auch den Schatz wahrzunehmen, den man an dem
Gebäude hat, und auch wieder Freude am Hüten des Gebäudes, indem
wirklich versucht wird, Hand in Hand mit dem Denkmalschutz, Schritt für
Schritt mit langem Atem zu realisieren, dass wieder alter Glanz
erstrahlen kann. Wenn Menschen in kleinen Schritten anfangen und merken,
sie können was bewegen, das wird gewertschätzt und nicht nur freudig
begrüsst sondern auch dringend benötigt, da wird eine so wichtige
Partnerschaft entdeckt zwischen Kirchenmenschen und den Dorfbewohnern,
die plötzlich sagen, das ist unsere Kirche und nicht im christlichen
Sinne mein, sondern einfach als Identifikation, die gehört zu unserem
Ort. Wenn wir es etwas weiter fassen, das Kirchen Häuser Gottes für die
Menschen sind, dann werden die Menschen nie aufhören, kreative neue
Lebensformen zu entwickeln, was unter einem Kirchendach geschehen kann.
Dann wird sich was neues ergeben, darauf muss man vertrauen und hoffen,
so wie das Wunderbare hier jetzt auch geschehen ist in Gosen."
Das kleine Gotteshaus - ein Stück Heimat
Im
Vorraum zum Kirchenschiff treffen die ersten Chorsänger für das
Konzert ein. Petra Mörs schenkt Kaffee aus, verteilt Kuchen. Auch sie
ist im Förderverein aktiv, die Kirche bedeutet ihr viel: "Meine Oma hat
viel in der Kirche gemacht, ob’s das Läuten war oder Saubermachen, sie
würde sich freuen, weil sie mich immer mitgenommen hat, das ist eine
Verbindung immer noch von meiner Oma zu mir. Und darum möchte ich, dass
das Gotteshaus erhalten bleibt. Das ist so mein Anliegen." Ihr Mann
Andreas hingegen gibt offen zu, dass er mit Kirche und dem christlichen
Glauben nichts am Hut hat, er ist anders erzogen worden. Doch auch ihn
lässt das Gosener Gotteshaus nicht gleichgültig: "In dem ich hier
geheiratet habe, ein Haus gebaut, meine Werkstatt eingerichtet, meinen
Handwerksbetrieb aufgebaut und bin in Gosen gut aufgenommen worden."
Thomas Schölzchen vom Vorstand des Fördervereins ist mit dem Einrichten
der Tonanlage fertig. Er lässt ein bisschen Weihnachtsmusik im
Hintergrund erklingen, zur Einstimmung auf das Konzert. Auch er ist -
trotz seines Engagements für die Gosener Kirche - kein gläubiger
Christ: "Naja, das Engagement für einen Kirchbauverein ist das eine,
zum Eintritt in die Kirche, wenn man da drüber nachdenkt, dazu gehört
ein bisschen mehr. Glaube an Gott ist das eine, aber Kirche ist noch mal
etwas anderes. Nicht jeder sieht es so, dass es unmittelbar
zusammengehört. Nichtsdestotrotz, arbeiten wir sehr gut mit der Kirche
zusammen, da gibt es auch ein sehr freundschaftliches Verhältnis hier,
da ist uns auch sehr dran gelegen, wir wollen nicht, dass das eine
leere, seelenlose Hülle wird, die als Veranstaltungsraum genutzt wird,
sondern es soll schon auch kirchliches Leben und vorrangig kirchliches
Leben hier wieder stattfinden, dafür tun wir halt das eine oder
andere." Und muss doch zugeben, dass auch ihm das kleine Gotteshaus
mittlerweile ein Stück Heimat geworden ist: "Das auf jeden Fall, wenn
man sich hier über Jahre engagiert, dann ist es ganz natürlich, dass
da auch ein gewisser Teil Herzblut mit dran hängt, man hat irgendwann
mal angefangen mit kleineren Aktivitäten, das ist dann immer
kontinuierlicher und professioneller geworden im Laufe der Jahre, unser
Förderverein hat sich ja schon 2008 gegründet, da hängt mittlerweile
das Herz zu einem nicht unwesentlichen Teil auch an diesem Gebäude."
Quelle: http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/bme/201212/24/183103.html